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Wer bin ich, was zeichnet mich aus? Irgendwie hatte ich gehofft, bei dem Klassentreffen mehr über mich, wer ich mal war, zu erfahren, vielleicht auch zu eruieren, wo, wann oder wie der Bruch zwischen dem damals noch integrierten und heute (sicherlich vornehmlich selbst kreierten) fast völlig isolierten Menschen kam. Innerlich bin ich letztlich aber - nach drei Stunden Aufenthalt in unserer Ursprungsschule, in der wir uns nach dem Rundgang durch die Räumlichkeiten, die sich erschreckender Weise in keinster Weise verändert haben, auf dem Beamer Fotos von damals und ein Video von unserer Abschlussfeier und den Prüfungen ansahen - weitestgehend leer zurückgefahren.

Einerseits angereichert mit lebendigen Bildern von damals, die mich sehr aufwühlten. Bilder, die kindhafte Teenager mit gänzlich weichen Gesichtszügen von 15 und 16 Jahren zeigen, welche sich damals aber schon stark und erwachsen gefühlt haben. Bilder, die das Ur-Ich dauerhaft in jedes Gesicht geschrieben haben, die im Laufe der Jahre natürlich durch die Zeit geprägt wurden, aber unverkennbar an einst anknüpfen lassen, wenngleich wir inzwischen allesamt Greise der Jugend sind. Andererseits durchströmte mich bei diesem Treffen auch eine unglaublich schwere Traurigkeit und Unsicherheit. Traurigkeit insofern, als dass Vergangenheit und Gegenwart eine Schnittmenge zu bilden versuchten, die meinem Gefühl nach gar nicht passend war. Ein paar wenige sprach ich darauf an, wie sie mit dem Alter, mit dem ich ja überhaupt nicht klarkomme, zurechtkämen. Niemand, ich wiederhole niemand, wirklich absolut niemand, haderte damit. „Na klar lasse ich es an meinem Geburtstag krachen“ und „natürlich feiere ich meinen Geburtstag“ oder „letztes Jahr an meinem 40.ten (den ich dieses Jahr ins Antlitz sehen musste) habe ich es groß krachen lassen“ waren beispielsweise ein paar Antworten, die ich auf meine Frage bekam. Irgendwann muss ich wohl abgedriftet sein vom Leben. Ich weiß einfach nur nicht wann, bekam auch keine Klarheit darüber wie, wo oder warum.

Unsicher war ich deshalb, weil ich so unendlich aufgeregt war, mich auch vor Gesprächen, in denen es um mich ging, fürchtete. Zu Recht, wie sich kurze Zeit später herausstellte. Dass Fragen im „Wie geht’s Dir?“-Stil kommen würden, hätte ich ja wissen müssen und mich vielleicht auch darauf einstellen können. Habe ich aber nicht. Ich war naiv genug zu glauben, dass ich das nicht müsse, weil ich gelöster sein würde, als ich es schließlich war. NATÜRLICH haben mich in diesen Zeitspannen, die wir nicht vor dem Beamer saßen, einige auf mein Privatleben angesprochen und wollten wissen, was aus mir geworden ist, auch beruflich. Vermutlich klingt es seltsam, dass ich auf die Frage, was ich denn nun mache, zunächst keine Antwort wusste und die Frage sogar noch mal laut wiederholte, bevor ich meinen Beruf äußerte. Auf diesbezüglich weitergehende Fragen konnte ich kaum noch antworten, geriet sogar ins stocken, weil einfach fast alles weg war. Ein bisschen glich mir die Situation wie damals, als ich mich mit 17 in einem Vorstellungsgespräch zur Chemielaborantin befand und mich einer der drei Gesprächspartner fragte, was wir denn im Chemieunterricht gelernt hätten. Gänzlich perplex (ich kann heute noch immer nicht glauben, dass ich mit dieser Frage nicht gerechnet habe) antworte ich nach einem gefühlten Moment der Ewigkeit anorganische und organische Chemie, worauf eine minimalisiert detailliertere Frage folgte, die mich in Tränen ausbrechen ließ, da mir einfach nichts mehr einfallen wollte. Der Vollständigkeit halber will ich hier aber noch hinzufügen, dass ich trotz der Tränen genommen wurde, die Lehrstelle dann aber zugunsten des Abiturs ablehnte.

„Du machst ein Magazin über Wein?“, war gestern beispielsweise einer der Fragen, die mich aus dem Konzept brachten. „Über was schreibst Du denn da?“. Eine berechtigte Frage, für den, den es interessiert. Peinlich zu sagen, aber mir ist einfach nichts eingefallen. Erst sehr viel zeitverzögerter gesellten sich ein paar Erinnerungen zu mir. Ich muss dagestanden haben wie der Protagonist in Thomas Manns „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“.

Das Treffen glich einem Bienenschwarm, einem quirligem Treiben mit nicht aufhörenden Gesumme, während ich mich ein wenig wie der Imker fühlte, der diesem Konglomerat zwar irgendwie zugehörig war, aber dennoch nicht dazugehörte, vielleicht eher als stiller Beobachter, der sich mit seiner Kamera zum Schutz genau hinter selbiger versteckte.

Vor EINEM hatte ich bei diesem Klassentreffen auch besonders Angst: vor dem Wiedersehen, spezifizierter muss ich wohl vor einem Gespräch sagen, mit unserer einstigen Klassenlehrerin, obwohl ich inständig hoffte, dass sie auch mit dabei sein würde. Ja, Frau R., unsere einstige Klassenlehrerin, mit der ich bis heute nach wie vor schriftlichen Kontakt habe (ich schicke ihr seit 25 Jahren jedes Jahr eine Geburtstags- und Weihnachtskarte, wobei sie mir auf Letztere immer antwortet). Sie hat mich in all den Jahren schon oft zu einem Treffen eingeladen, dass ich aber aus Furcht nie realisierte. Es ist das Eine, sich hinter wohl durchdachten Zeilen zu verbergen und das Andere, sich einem realen Echtzeitgespräch zu stellen.

Leider hat die Zeit auch nicht vor ihr Halt gemacht. Der Abgleich mit meiner Erinnerung an das Bild von damals war tragisch, wobei ich hierzu sagen möchte, dass nicht die Tatsache, dass sie gealtert ist, einschüchternd war, da sich dem Altern sowieso niemand entziehen kann, aber eben dieses weiter oben erwähnte Aufeinandertreffen von Vergangenheit und Gegenwart in der Schnittmenge eines Heute, das ich so nicht wahrhaben möchte. So sehr ich mich über das Wiedersehen von Frau R. freute, so sehr war ich von Angst gelähmt, auf sie zuzugehen und sie anzusprechen. Ich beglückte mich vielmehr aus der Ferne, sie überhaupt sehen zu können, wobei sie schließlich den Weg zu mir suchte, mir mitteilte, wie sehr sie hoffte, dass sie mich hier wieder sehen würde, sie mich aber nicht wieder erkannt hätte. Sie hätte ja so viele Fragen an mich, die ihr jetzt allesamt gar nicht einfielen, weshalb ich doch einfach mal erzählen sollen, was ich natürlich nicht konnte.

Selbst als wir auf das für mich eigentlich höchst aktuelle Thema Stockholm kamen (ich hatte mir in Stockholm ein T-Shirt erstanden, dass ich gestern trug), fiel mir zu der Stadt, in der ich diese Woche erst zugegen war, überhaupt nichts mehr ein, außer dass es dort unglaublich schön gewesen sei. Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob ich nicht gestottert habe. Keine Ahnung, was für einen Eindruck ich hinterlassen habe. Ich selbst habe mich jedenfalls zutiefst geschämt, was mich auch nach dem Rundgang zur Schule dazu bewogen hat, nicht mit in das Lokal eines ehemaligen Klassenkameraden, in dem das Wiedersehen fortgesetzt werden sollte, mitzukommen, obwohl ich auch traurig darüber war, die Lieben (und das waren sie mir wirklich!) so schnell loszulassen. Ich hatte einfach Angst, dass ich in weiteren Gesprächen noch mehr Unsägliches von mir gebe oder mich durch meine Äußerungen zum Idioten mache.

Also fuhr ich schweren Herzens nach Hause.

Rund drei Stunden später erhielt ich von einem Klassenkameraden folgende Mail:

Hey Patty,

wo bist Du denn hin verschwunden?
Wir vermissen Dich hier!

Meld Dich....
Gruß Andreas



Zu Tränen gerührt antwortete ich:

Hallo Andreas,

ich sagte ja, dass ich heute sehr aufgeregt sei, irgendwie war ich
verunsichert.

Ich habe mich UNENDLICH auf dieses Treffen gefreut, auch weil die Gedanken
an die Hauptschulzeit bisher immer eine mentale Kraftquelle für mich waren,
in die ich gedanklich gerne abgetaucht bin. Und dann nach all diesen Jahren
dieses reale Treffen. Wunderschön und doch auch traurig zugleich, weil es
mir die Vergänglichkeit vor Augen hielt.

Am liebsten hätte ich euch alle einfach eingepackt und mitgenommen, um das
Schöne aus der Vergangenheit wieder in meinen Alltag zu integrieren.

Ich wusste nicht, ob ich den Gesprächen standhalten kann, haderte, doch dann
siegte die Furcht, obwohl ich gleichzeitig betrübt war, so rasch
loszulassen.

Ich weiß nicht, ob das nachvollziebar ist.

Jetzt lese ich deine Zeilen und bin tief berührt, weil mich jemand vermisst.

Das tut gut.

Ich bin nach Hause nach gefahren.


Lieb, dass Du Dich gemeldet hast.


Sehr viel später antwortete mir Anja (ich war zu diesem Zeitpunkt aber schon im Bett und las die Zeilen erst heute Morgen), meine damals beste Freundin in der Schulzeit:


Hallo liebe Patty,

Andreas hat mir gerade Dein Mail gezeigt - ich kann es nachvollziehen und habe schon fast so etwas geahnt. Aber mach Dir keine Sorgen es ist OK. Ja bei so einem Treffen wird einem bewusst wie vergänglich alles ist.

Ich möchte Dir noch mitteilen, dass Dich durchweg alle vermisst haben und Dir ganz liebe Grüße senden. Frau R. meinte, sie würde sich bei Dir melden, um endlich das lange angestrebte Treffen in die Tat umzusetzen.

Auch möchte ich mich nochmals für die beruhigenden Worte (Beamer-Chaos) bei Dir bedanken – fast wären mir alle Sicherungen durchgeknallt. Seit Tagen fieberte ich diesem Treffen entgegen.

Liebe Patty sei in Gedanken gedrückt und mache Dir keine Vorwürfe. Vielleicht ergibt sich die Gelegenheit, den Einen oder Anderen in einem kleineren Kreis zu treffen. Andreas z.B. möchte mit seiner Frau nach Wertheim und er meldet sich bestimmt für ein Treffen bei uns.

Alles Liebe und Gute
Anja & Andreas



Bei diesen Worten kamen mir einmal mehr die Tränen. Anja hatte schon so etwas geahnt? War ich damals vielleicht doch schon ein bisschen so wie heute?
 

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