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In einem derartigen Zustand wie heute habe ich meine Oma bisher noch nicht gesehen..Das ist von meiner Oma geblieben. Klar gab es mal „Auszeiten“, aber dauerhaft – ich war vier Stunden im Krankenhaus – war sie noch nie (außer unmittelbar während und nach ihrem letzten Schlaganfall) so geschwächt, so wortlos, so „daneben“. Ich kann auch nicht wirklich sagen, wie viel sie mitbekommen hat. Müsste ich schätzen, würde ich 20 Prozent sagen. Nach Auskünften meiner Mutter, die heute Abend auch noch einmal vor Ort war, konnte sich meine Oma aber zumindest an meinen Besuch erinnern. Ansonsten war sie kaum in der Lage zu reden.So sah sie Ende Mai aus Ihre äußerst raren Versuche, überhaupt etwas zu sagen, scheiterten meistens am Verstehen der Zuhörenden, meist meinem Onkel und mir, da meine Oma entweder viel zu leise oder sinnentfremdet sprach, wobei „sprechen“ in diesem Zusammenhang sicherlich der falsche Ausdruck für ihre kargen Worte war. Einmal sagte sie „13 Kuchen“, einfach so. Ich wusste nicht, was sie mir damit mitteilen wollte, fragte, ob sie ein Stück Kuchen haben wolle, was sie aber verneinte. Ich schnitt und feilte ihr die Fingernägel, rasierte ihr ihren Damenbart, cremte sie ein, frisierte und liebkoste sie abermals. Ihre Mimik schien bis auf ganz wenige Ausnahmen eingefroren, steif und leblos, so dass es mir dadurch leider nicht möglich war zu erkennen, ob ich ihr mit meinem Tun einen Gefallen erweise, obwohl sie die meiste Zeit davon sowieso schlief.

Irgendwann gab sie mir und meinem Onkel eine Sitzplatzänderung zu verstehen. Sie wollte aufrecht sitzen, worauf wir sie samt Bett anhoben. Tränen ronnen über ihre Wangen. Sie wollte uns etwas mitteilen, doch wir verstanden zunächst beide nicht. Dann äußerte sie sich dahingehend, dass sie Schmerzen habe. Mein Onkel fragte nach, wo es ihr denn wehtue, doch sie konnte sich nicht artikulieren, weshalb ich sie bat, uns die Stellen mit der Hand zu zeigen. Sie fasste sich, wahrscheinlich suchte sie aber bloß die richtige Stelle, an die Schulter, dann in die Herzgegend, wobei sie im Anschluss gerade dabei war, in Richtung Magen zu wandern, ... dann sagte sie: „da läuft’s“ ...

Ich wusste für einen kurzen Augenblick nicht, was sie meinte, dann sah und roch ich die braungrüne Flüssigkeit, die sich aus der Windel (da sie an einen Katheder angeschlossen ist, ist die Windel, aber das ist jetzt lediglich die Interpretation meines Onkels, nicht wirklich dicht) ins Bett ergoss. Meine Güte, sie tat mir echt so leid. Ich umarmte sie und sagte, dass das überhaupt nicht schlimm sei. Ich kam aus dieser Umarmung zunächst auch überhaupt nicht mehr frei, weil sie mich festhielt, was mir natürlich lieb war. Und doch – mir stieg der Geruch intensiv in die Nase. Ich musste mich zusammenreißen, dass mir nicht schlecht wurde, wobei ich mich in diesem Belang über mich selbst ärgerte, weil ich mir wünschte, dass ich über diesem Geruch stehe. Ich atmete flach. Klar ließ ich meine Oma nichts davon merken. Ich wollte einfach nicht, dass es mir etwas ausmacht, aber es machte mir etwas aus. Ich fühlte mich schwächlich und gemein meiner Oma gegenüber. Um die Details zu komprimieren: Mein Onkel klingelte nach den Schwestern, die das Malheur dann wieder in Ordnung brachten.

Sorgen- und Nöte-Schachtel


Eigentlich hatte ich meiner Oma noch ein Schächtelchen mitgebracht: Eine selbst gebastelte persönliche Sorgen- und Nöte-Schachtel, deren Boden ich mit getrockneten Rosenblättern auslegte. Anbei gab es folgende Anleitung:


  1. Schachtel öffnen
  2. Sorgen und Nöte hinein geben
  3. Schachtel schließen
  4. Sich guten Gewissens zurücklehnen, weil ...
auf Rosen gebettete kleine, aber sehr tapfere Sorgenhelferlein, die nur im Dunkeln arbeiten können (deshalb muss die Schachtel auch immer geschlossen sein!), sich deiner Ängste und Befürchtungen annehmen, um sie mit Sanftmut und liebevoller Fürsorge zu heilen.

Und wenn Du das nächste Mal die Schachtel öffnest, werden die mutigen Helferlein Deine Ängste jedes Mal mit aller Behutsamkeit und Sorgfalt in Obhut nehmen.


Leider bekam sie davon aber nichts mit, obwohl die auf ihrem Nachttisch stehende Schachtel zu einem späteren Zeitpunkt ins Interesse ihres Blickfeldes geriet, sie auch danach griff, wobei sie aber bedauerlicherweise nicht verstehen konnte, was es mit dieser ominösen Schachtel auf sich hat.

Vielleicht krabbeln die kleinen Sorgenhelferlein in Anbetracht der Schwere des Zustands meiner Oma ja vielleicht ausnahmsweise mal von alleine aus ihrem duftenden Terrain, um sie von ihren Sorgen und Nöten zu befreien.
Perdi meinte am 4. Aug, 00:41:
Alle Großmütter....
dieser Erde, wünschen sich SO eine Enkeltochter! 
nelli meinte am 5. Aug, 11:56:
ist es nicht schlimm, wenn ein mensch so leiden muss..... 
pattyv antwortete am 7. Aug, 23:02:
ja, ...
da fehlen mir die Worte 
chaetzle meinte am 5. Aug, 20:47:
Liebe Patty,
ich kann nachvollziehen, wie es dir ergeht. Meine Omi lag auch so da. Über viele Wochen, bis der Krebs soweit war, dass sie sterben durfte. Wir hatten sie zu Hause gepflegt. Jahre später habe ich nebenbei in einem Pflegeheim gearbeitet. Und auch dort immer die selben Bilder. Inkontinenz, offene Beine, Demenz, sich nicht äussern können... usw. Es braucht starke Nerven. Aber du hast Mitgefühl und Liebe. Und das ist gut. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Gefühle auch ankommen. Auch wenn man denkt, die Menschen können nichts mehr mitbekommen. Sie tun es. Egal, wo sie gerade im Geiste sind. Gerade körperliche Nähe ist wichtig. Gib sie ihr. Und schenke ihr Achtung. Nichts ist schlimmer, als wenn den Kranken und Alten die Achtung nicht mehr gegeben wird.
Ich wünsche dir viel Kraft! Es ist eine Erfahrung, die dir sehr viel bringen wird auf deinem Lebensweg! Sei demütig. 
pattyv antwortete am 7. Aug, 23:09:
Ich weiß nicht,
wie viel Kraft ich noch habe? Es ist so Vieles, was im Argen ist. Ich habe auch Angst, dass der Krebs bei meiner Mutter wieder ausbricht. Ich habe gerade nichts, an dem ich mich hochziehen könnte.

Gut, ich habe einen Job, den hatte ich vergangenes Jahr im April noch nicht, aber ansonsten?

Im Moment ist einfach alles nur heikel, auch in der Familie, auch im Job und auch in der Beziehung.

Aber ich will definitiv nicht jammern.

Ich suche das nächste Zeitloch, um meine Oma sobald als möglich wieder zu besuchen. 
 

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