Aeltere Beitraege von blogger de
Aergerlich
Angst
Aus der Welt der Nachrichten
Des Lebens muede
Ein neuer Tag
einsam & verlassen
Familie
Freizeit
Freude
Job
Kaum zu glauben
Kino
Kurioses
Nicht von dieser Welt
Omas Krebs
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
icon

 

Omas Krebs

Jetzt steht er unverkennbarer denn je vor der Tür: Der Tod. Inzwischen klopft, nein hämmert, er eindringlich und penetrant, um sich zu holen, was uns, der Familie, so lieb ist: meine Oma.

Es scheint nie Ruhe einzukehren. Heute früh kam meine Oma mit dem Notarzt ins Krankenhaus. Mein Onkel brachte sie so gegen 6 Uhr auf die Toilette, dann brach sie zusammen. Er dachte es sei möglicherweise ein erneuter Schlaganfall, weil sie nicht mehr reagierte, nicht mehr ansprechbar war. Sie bekam keine Luft mehr. Mein Opa öffnete die Fenster in der Hoffnung, dass frischer Sauerstoff vielleicht Besserung brächte, vergebens. Der Notarzt kam, päppelte sie mit „ich-weiß-nicht-was-für-welchen-Infusionen“ wieder auf. Sie hatte kaum noch wahrnehmbaren Puls. Ihr Herz sei sehr schwach. Man solle die Angehörigen verständigen, meinten die Ärzte im Krankenhaus. Der Tumor ist übrigens doch gewachsen. Inzwischen hat er auch eine lebenswichtige (ich weiß zwar nicht welche, aber mein Onkel schilderte es mir vorhin am Telefon) Vene umschlossen.

Ich hasse diesen Tod, diesen furchtbar grausamen Kerl. Wenn er die Tür aufmacht, spucke ich ihm ins Gesicht, doch momentan sind wir alle darum bemüht, die Tür mit Gewalt gegen ihn zu verschließen, auch wenn seine stemmenden Kräfte immer mehr zuzunehmen scheinen.

Wo fange ich an, wo höre ich auf?

„Ich habe gute und schlechte Nachrichten“, meinte mein Onkel gestern, als wir ihn aus dem Krankenhaus kommend trafen.

Die Gute(n): Die Stele, das verbindende Röhrchen zum Ablauf ihrer verstopften Galle, wurde noch(!) nicht gelegt. Noch insofern, als dass die Ärzte einerseits sahen, dass die Säfte der Galle inzwischen wieder fließen würden und sie es andererseits, wenn es nicht zwingend erforderlich sei, sie meiner Oma diesen für sie doch nicht ganz unriskanten Eingriff (wegen der Verabreichung der blutverdünnenden Medikamente, welche sie einst schon einmal abgesetzt hatten, was den Schlaganfall nach sich zog) ersparen wollten. Die Verstopfung könne aber jederzeit wiederkommen und den Eingriff dann nötig machen.
Die andere gute Nachricht sei die, dass der Tumor aufgrund der Chemo nicht mehr weiter wachsen würde. Ich spreche deshalb im Konjunktiv, weil mir meine Mutter noch gestern Abend erzählt hat, dass sie mit dem Arzt, der meiner Oma die Chemo verabreicht hat, gesprochen habe und jener gemeint hätte, dass die Chemo bei meiner Oma nicht ansprechen würde, zumindest bisher noch nicht, der Tumor auch schon in die Galle gewachsen sei, was die Verstopfung selbiger auch erklärt. Ich weiß nicht, mit welchem Arzt mein Onkel gesprochen hat, beschönigen wollte er mir gegenüber aber sicher nichts, dessen bin ich mir sicher.

Die schlechte(n) Nachricht(en): Bei dem eigenständigen Versuch, auf die Toilette zu gehen, versagten meiner Oma die Kräfte in ihren Knien, weshalb sie zu Boden fiel – und das leider sehr unglücklich, so dass sich eine Platzwunde am Kopf, die mit mehreren Stichen genäht werden musste, zuzog. In Rücksprache mit meiner Oma erfuhr ich diesbezüglich noch, dass sie im Vorfeld den Pflegern mitgeteilt habe, dass sie zur Toilette musste, jene aber aufgrund des Stresses keine Zeit dafür gehabt hätten. Was soll ich bloß glauben? Einerseits kann ich mir nicht vorstellen, dass das Krankenhauspersonal so ein Verhalten an den Tag legt, andererseits würde mich meine Oma auch niemals belügen. Klar kann sie Details durcheinander bringen, aber es klang doch so glaubhaft (und die genähte Wunde am Kopf spricht ja auch für sich, ... nicht dafür, wie es dazu kam, aber dass es dazu kam), zumal sie mir gestern auch zum zweiten Mal eine andere Begebenheit, die sich ein Tag zuvor zutrug, identisch schilderte. Als ihr nämlich eine Schwester die Pflaster mit denen
die Kanülen verbunden waren, so fest hinunterriss, dass sie nun eine 5.-DM große
Fleischwunde oberhalb des Handgelenks hat, wobei ich diesbezüglich erläutern muss, dass meine Oma inzwischen durch das Cortison bedingt eine ganz dünne Pergamenthaut hat, was meines Erachtens eine gelernte Krankenschwester aber wissen müsste. Ich verstehe nicht, wie jemand so plump sein kann?! Und was äußerte die Krankenschwester daraufhin? „Das kann ja mal passieren“. Kann es eben nicht, meinte mein Onkel mir gegenüber und erzählte mir davon, dass sein Bruder, also mein anderer Onkel, das Krankenhaus deswegen schon verklagen wollte, wobei er es dann aber doch unterließ. Ich erfuhr auch, dass meine Oma eine ganze Zeit lang in ihrer eigenen Blutlache lag, bevor sie überhaupt jemand fand. Bedingt durch ihre Schwäche hatte sie auch nicht die Kraft, laut um Hilfe zu rufen. Sie robbte am Boden, vom Stuhl zur Tischkante, rief nach „Willi“, meinem Opa, dem „lieben Herrgott“, auch das erzählte sie mir gestern.

Heute darf sie übrigens nach Hause – als Pflegefall, was (noch) etliche Schwierigkeiten in sich birgt, da wir noch keine rund-um-die-Uhr-Betreuung organisieren konnten. Bevor sie am vergangenen Montag ins Krankenhaus kam, konnte sie ja zumindest noch alleine auf Toilette, weshalb es auch noch einigermaßen tragbar war, dass mein Onkel erst am Nachmittag wieder da war. Erst insofern, als dass er, wie bereits geschildert, täglich um 4 Uhr aufsteht, um die 130 Kilometer weite Strecke zu seinem Arbeitsplatz zu fahren, dort acht Stunden arbeitet, um dann so gegen 16 Uhr wieder da bei meiner Oma zu sein, wenngleich das hieß, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt so gut wie nichts getrunken hat und das Flüssigkeitsmanko bis abends nicht mehr aufzuholen war (als sie am Montag ins Krankenhaus kam, bekam sie – via Tropf - erst einmal vier Ampullen Flüssigkeit , weil sie so ausgetrocknet war). Meinem Onkel gebührt in der Aufopferung sicherlich der meiste Respekt aller Mitwirkenden, die sich um meine Oma bemühen.

Die Zeit läuft mir inzwischen wieder mal davon. Mein erster Arbeitstag nach dem Urlaub steht an, deshalb etwas summierender.

Heute Mittag kommt der Pflegedienst, um sich die Verhältnisse vor Ort bei meinen Großeltern anzusehen. Geplant ist, dass sie ein eigenes Pflegebett, einen Rollstuhl sowie eine Lifta für die Badewanne erhält. Nachdem sich ihre gesundheitlichen Verhältnisse körperlich auch so verschlechtert haben, müssten sie sie inzwischen auch neu einstufen. Vielleicht geschieht auch das heute?

Alex, der aufopfernde Onkel, möchte seinen Chef nach
unbezahlten Urlaub fragen. Aber selbst wenn er diesen genehmigt bekommen
sollte, ... er muss ja auch von etwas leben. Wie bereits gesagt, wir haben noch niemanden, der meine Oma ganztägig betreut. Nimmt man sich eine deutsche Alten- oder Krankenpflegerin, muss man ca. 2.300 bis 2.500 Euro monatlich bezahlen. Eine Summe, die wir uns nicht leisten können, so traurig es klingt. Eine Alten- oder Krankenpflegerin aus Polen hingegen wäre, soweit ich das gestern im Netzt eruieren konnte, halblegal, schon für 1000.- Euro zu haben, wobei Kost und Logie hinzukämen. Selbst wenn wir das irgendwie arrangieren könnten, weiß ich nicht, inwiefern das meine Oma gutheißen würde, wenn sie von jemand Fremden, ganz egal welcher Nationalität, betreut würde und diese Person dann auch noch in ihrer Wohnung lebt. Aber haben wir eine Alternative? Um meine Oma familiär ganztägig betreuen zu können, müsste jemand seinen Job aufgeben.

Als ich meine Oma gestern gesehen habe, war ich zunächst total entsetzt. Sie schlief. Ihre Gesichtszüge waren entglitten, das
ganze Gesicht schien zu hängen, sie selbst lag so hager und ärmlich in diesem vergitterten Krankenhausbett (vergittert deshalb, weil sie einige Nächte zuvor daraus gefallen war). So habe ich sie definitiv noch nie gesehen. Ich schluckte.

Wir, der Pan und ich, waren über drei Stunden bei ihr. Zeit, in der sie die Ruhe und Entspannung fand aufzublühen. Zeit, in der das Leben wieder Gestalt in ihrem Gesicht annahm. Zeit, die wir auch lachend verbrachten. Zeit, in der sie die Sicherheit fand, in Ruhe ein wenig abzuschalten, zu schlafen, weil sie die Gewissheit hatte, dass jemand da ist, der auf sie aufpasst.

Auch wenn sie unser Besuch sicherlich anstrengte, konnten wir sehen, dass sie daraus Kraft schöpfte, obwohl mir meine Mutter später am Telefon mitteilte,
dass abends nichts mehr davon übrig geblieben sei.


... und morgen steht die Goldene Hochzeit meiner Großeltern auf dem Programm, wobei diese niemand feierlich begehen wird. Das stand ursprünglich mal an, wurde aber aufgrund der derzeitigen Befindlichkeit meiner Oma abgesagt. Wahrscheinlich werde ich ihr die Fingernägel schneiden und feilen und die ganzen Hände danach vorsichtig massierend einölen. Das tat ich vor Kurzem schon einmal und das hat ihr recht gut getan. Sie äußerte auch gestern den Wunsch danach, doch im Krankenhaus fehlten die Utensilien dafür. Meine Oma braucht keine materiellen Geschenke. Sie erfreut sich an der Aufmerksamkeit, der Zeit und der Zuneigung, die man ihr schenkt. Das macht sie auch so wertvoll.

Seit gestern Mittag sind wir wieder zurück. Schade, denn mit dieser Rückkehr trudelte auch langsam wieder das Denken darüber ein, dass der Urlaub nun in Bälde vorüber ist, was in sich nicht so fatal wäre, wenn die kommenden Wochen nicht so fern- und fremdbestimmt wären, was meine Tätigkeit betrifft Bis Mittwoch weile ich noch an meinen eigenen Arbeitsplatz, dann stehen – wieder mal – dreieinhalb Wochen Urlaubsvertretung auf dem Programm.

Seit Montag liegt meine Oma erneut im Krankenhaus: Der Tumor ist inzwischen so groß geworden, dass er die Galle verstopft. Die Ärzte wollten ihr eine Stele, ein Röhrchen, das direkt in die Galle mündet, damit die Flüssigkeit abfließen kann, einführen. Da der Eingriff aufgrund ihrer blutverdünnenden Medikamente aber (zunächst?) noch zu heikel (inneres Verbluten) schien, unterließen sie es, wobei es aber die kommenden Tage – nach dem Absetzen der Medikamente - realisiert werden sollte. Am Freitag stand ich noch mit meinem Onkel im Gespräch, der davon ausging, dass seiner Mutter die Stele am Donnerstag gelegt wurde. Ich hatte im Vorfeld des gleichen Tages aber noch mit meiner Oma telefoniert, wobei sie meinte, dass die Ärzte diesbezüglich nichts getan hätten, weil es sich nicht mehr lohnte, so die Ärzte, was mich natürlich in Sorge versetzte. Mein Onkel äußerte sich - selbst eine Erklärung suchend - dahingehend, dass ich die Aussagen meiner Oma mittlerweile nicht mehr alle 1:1 als richtig annehmen sollte. Da ich wusste, dass er sie an diesem Tag noch im Krankenhaus besuchen würde, bat ich ihn um Eruierung, wobei ich seitdem aber nicht mehr mit ihm gesprochen habe, insofern selbst noch unwissend bin, obwohl ich spätestens nachher, wenn der Pan und ich meine Oma besuchen, selbst erfahren werde, was Fakt ist.

Mittlerweile hoffe ich um jeden weiteren Tag ihres Lebens. Am Dienstag jährt sich der 50. Hochzeitstag meiner Großeltern. Die Ärzte meinten, dass sie, meine Oma, auf dieses feierliche Ereignis hinleben sollte. Puhhhh, ... alles nicht so einfach, noch weniger für meine Oma, die sich sehr oft einsam fühlt, was ihr am meisten Kummer verursacht. Bei unserem letzten Telefonat sagte sie, dass sie wolle, dass der Pan und ich bei ihrem Sterben dabei sind. Abgesehen davon, dass ich nicht weiß, wie vorhersehbar ihre letzten Stunden sind, weiß ich natürlich nicht, wie sich das in der Fremde (Urlaubsvertretung) realisieren lässt. Wäre ich an meinem eigenen Arbeitsplatz – hier arbeiten wir zu zweit – wäre das kein Thema, aber an diesen anderen Orten? Ich hoffe, ich kann das irgendwie einrichten, auch zeitlich. Ich weiß ja nicht, wie schnell der Tod sich ihr Leben nimmt, wenn er sich denn mal dazu entschlossen hat, ihr an diesem einem speziellen Tag kein weiteres Leben mehr zu gönnen.

Ich habe meine Oma gestern weder besucht noch angerufen. Wie feige muss man sein, um so herzlos zu sein? Es wird nicht mehr viel Möglichkeiten geben, wo ich mir überhaupt Gedanken darüber machen kann, ob ich meine Oma noch einmal besuche oder nicht, aber ich habe Angst vor dieser fremden Frau, die mir dort wahrscheinlich begegnen wird.
Nachts kann ich nicht einschlafen, weil mich Ängste plagen, und weil ich befürchte, für mein kaltherziges Verhalten bestraft zu werden.

Ich bin mal wieder an dem Punkt, wo ich mich mit meinen Gefühlen verlassen sehe. Tagsüber kann ich mich mit meinen selbst auferlegten Pflichten gut davon ablenken, in der Stille der Nacht sind sie jedoch nicht mehr verdrängbar, pochen beklemmend auf mein mir so lieblos erscheinendes, kleines Herz. Genau in diesen Phasen denke ich auch darüber nach, zu einem Therapeuten zu gehen, weil ich mich diesem, meinem Leben nicht mehr gewachsen sehe. Mit dem Aufstehen verwerfe ich – zwar noch einmal an die Schatten der Nacht zurückdenkend - dieses Vorhaben aber täglich erneut, um des nächtens doch nur wieder neue Angst zu verspüren.

Nach all den Ereignissen der vergangenen Wochen, auch im Rückblick auch den Krebs meiner Mutter vor zwei Jahren und ihrer derzeitigen Befindlichkeit, die nichts Gutes ahnen lässt, fürchte ich mich vor meinem eigenen Altern. Ich besitze nicht mehr die Fähigkeit, mich unbefangen über einem neuen Tag zu freuen. Jedes neue Licht, das einen beginnenden Tag verkündet, heißt gleichzeitig einen alternden in meinem Dasein, was aufgrund meiner Lebensumstände nicht als Tag eines gewöhnlichen Menschens mit durchschnittlicher Lebensdauer gewertet werden kann.

Bedingt durch den Raubbau an meinem Körper, den ich nun schon seit 18 Jahren betreibe, also genau die Hälfte meiner bisherigen Lebenszeit, glaube ich, nicht sehr viel älter als 50 Jahre zu werden. Selbst wenn ich von heute auf morgen dieses Agieren stoppen könnte, glaube ich nicht, dass es sich lebensverlängernd auswirken würde, weil dieser eben erwähnte Raubbau schon über so viele Jahre anhält. Insofern bleibt mir nicht mehr wirklich viel Zeit, um mein Angst beladenes Leben zu leben.

Dass meine eben gemachten Aussagen nicht einem Hirngespinnst entspringen, beweist vielleicht auch die Aussage einer Ärztin, die mir schon vor zwei Jahren, der ich bei der Abtreibung von dem „Raubbau“ erzählte, erwähnte, „ohh, dann bekommen sie später ja mal xxx (Name erwähne ich nicht, um keine Rückschlüsse auf Details zu erlauben, um aber falschen Vermutungen vorzubeugen, doch so viel: es hat nichts mit Alkohol, Drogen oder Aids zu tun). Die Mutter eines Freundes hat xxx. Wenn ich mir vorstelle, dass das auf mich zukommt, ist es vielleicht auch besser, nicht sehr viel älter als 50 Jahre zu werden.

Ich will aber die verbleibenden Jahre in meinem Leben nicht mit dieser Angst leben müssen. Gegen ein bisschen Angst ist sicherlich auch nichts einzuwenden, da sie ja auch als Schutzmechanismus dient. In dem Maße, in dem sie mir aber begegnet hemmt sie mein Leben, weshalb ich den Besuch bei einem Therapeuten vielleicht doch in Erwägung ziehen sollte.

Ja, ich bin überfordert, überfordert von dem Gefühl der Angst, das mich vereinnahmt, aber darf ich das sein?

Was soll erst mein Onkel mit seinen gestandenen 47 Jahren, der sich als einziger mit ganzer Liebe und Fürsorge um meine Oma, seine Mutter, kümmert, sein?

Er hat diese Nacht schon zweimal angerufen. Sein erster Anruf klang verzweifelt, der weinende zweite schon fast aussichtslos. Meine Oma, würde jetzt auch gegen ihn aggressiv. Sie läge hellwach im Bett, beschimpfe ihn, wenn er einen sorgenden Blick ins Schlafzimmer werfe. Er solle abhauen, ...

Da sie, meine Oma, heute Abend schon mehrfach geäußert habe, dass sie nicht mehr wolle, hat er vorsorglich alle Fenster verschlossen (sie ist – nach Angaben meines Onkels - zu schwach, um sie aufzumachen). Schlafen könne er aus Angst nicht. Weil sie so aufgebracht war, wollte mein Onkel ihr zwei von den Beruhigungstabletten geben, worauf meine Oma ihn anfauchte, er wolle sie vergiften. „Ich hol die Polizei“, hat sie ihm gedroht.

Ich weiß nicht, inwieweit sie noch mitbekommt, dass er jeden Morgen um 3.30 Uhr von Wertheim nach Wiesbaden (130 Kilometer) zu seiner Arbeit fährt, bloß damit er schon um 14.45 Uhr den Weg wieder zurück antreten kann. Er macht alles für sie, opfert sich auf ... und dann das.

Ich habe ihm, selbst völlig hilflos, zu erklären versucht, dass das die Medikamente bedingen, dass seine Mutter nicht mehr die ist, die sie einst war. Aber was soll ich denn sagen? Wieso ist Sterben nur so furchtbar?

Ich wünschte, ich müsste genau jetzt nicht alleine sein, wünschte, der Pan, der jetzt bei seinen Eltern weilt (sein Dad feierte seinen 73. Geburtstag), wäre hier. Ich habe Angst, mich schlafen zu legen. Einerseits weil ich es meinem Onkel, der heute die ganze Nacht über wach bleibt, unfair gegenüber finde, andererseits weil ich mich vor bösen Träumen, diese Thematik betreffend, fürchte. Ich weiß nicht, ob ich mir wünschen soll, dass meine Oma stirbt, auch weil das, was sie jetzt noch an Leben mitbekommt, kein Leben mehr ist.

Wo ist die Schulter, in die ich mich zum Heulen flüchten kann?

Als ich von der Krebs-Diagnose meiner Oma erfuhr, habe ich mich im Internet eingelesen, um mich auf das, was kommt, einzustellen. Irgendwie dachte ich, ich sei auf alles vorbereitet, vielleicht war ich das ja auch, zumindest rein sachlich, emotional schmettert es mich zu Boden.



PS: Am Rande sei noch erwähnt, dass ich gestern in meinem kleinen Schränkchen auf dem Balkon ein Wespennest entdeckt habe.

Die Oma, die ich kannte, scheint nicht mehr da zu sein. Gestern hat sie dann tatsächlich ihre erste Fusion (Chemo) erhalten. Beim letzten Besuch wusste der Arzt von gar nichts, musste insofern erst einige Voruntersuchungen durchführen, um ihr die richtige Dosis verabreichen zu können. Der Mut, sie anzurufen, hat mich seit Samstag, da sprach ich das letzte Mal persönlich mit ihr, total verlassen. Ich will nicht wiederholen, was und vor allen Dingen, wie sie es gesagt hat, mein langjähriges Erleben mit mir sagte mir auch, dass das nicht sie ist, aber es tat doch einfach nur weh, weil die Stimme so vertraut klang, die Person dieser Stimme aber nicht oder nur noch ganz selten zu existieren scheint.

Da ich natürlich weiter an dem Befinden meiner Oma interessiert bin, sie ungemindert liebe, rief ich vorgestern meinen Onkel, ihren Sohn, an, der die vergangenen Tage bei ihr war. Von ihm erfuhr ich, dass meine Oma in einer nächtlichen Aktion alle Schränke ausgeräumt hat, weil sie weg müsse, dass Enzo, mein Vater, - der Annahme meiner Oma nach - entführt worden sei und bedrohliche Menschen vor der Tür lauern.

Wo ist sie geblieben? Ich kann nicht fassen, welche Veränderungen sich in diesen vier Wochen psychisch und physisch bei meiner Oma vollzogen haben. In den wenigen Momenten, wo sie klaren Verstandes ist, ihre Situation realisiert, ist sie am Boden zerstört. „Schau nur, was aus mir geworden ist“, hat sie vorgestern zu meiner Mutter gesagt. „Ich werde ab sofort nichts mehr essen, trinken und auch keine Medikamente mehr nehmen, das hat doch alles keinen Sinn“, fügte sie dem Leben ferner denn je zutiefst deprimiert hinzu.

Die vergangenen Tage hatte ich extrem viel Arbeit, weshalb ein persönlicher Besuch bei ihr auch nicht möglich war. Ich vermute, auch wenn ich mich dann ob der weiter vollzogenen Veränderung an ihr sicherlich zusammenreißen muss, dass ein persönlicher Besuch für uns beide leichter ist, als ein Telefonat, in dem wir uns nur akustisch begegnen können.

Sehr oft werde ich sie sicherlich nicht mehr in den Arm nehmen können, um ihr zu sagen, wie lieb ich sie habe.


Meine Mutter kränkelt inzwischen auch schon wieder. Sie ist so verdammt leichtsinnig, was ihre Gesundheit betrifft. Vor zwei Jahren hatte auch sie Krebs, musste eine so genannte "Totaloperation" über sich ergehen lassen, nachdem sie mit ihren Beschwerden zwei (!) Jahre gewartet hatte, bevor sie zum Arzt ging.

Als Halbvolle-Wasserglas-Seherin vermute ich schlimmstes.

Heute hat meine Oma ihre erste Chemo. Mein Onkel, ihr Sohn, der im 150 Kilometer entfernten Wiesbaden wohnt, hat sich diesbezüglich die kommenden drei Tage frei genommen. Ich frage mich, wie sie sich fühlt, ob sie Angst hat, ob sie – trotz allem – noch Hoffnung aus dieser Aktion schöpft, getraue mich aber nicht sie anzurufen und nachzufragen.
Wenn sie mit meinem Opa alleine ist, isst sie zudem so gut wie gar nichts. Ja, sie trinkt leider noch nicht einmal genügend. Die Folgen einer Dehydrierung, das weiß ich noch aus meiner Schulzeit, im Alter ist wesentlich gravierender als die bei jüngeren Menschen.

Doch sollen wir sie zwingen? Am Samstag hat mein Onkel meine Oma auf soziale Weise genötigt, etwas zu essen, was meinen Opa, der mit der ganzen Situation selbst überfordert ist, aber unter der Woche – dann, wenn die beiden fast ausschließlich Zeit ohne andere verbringen - nicht gelingt. Zugegeben, meine Oma macht es den anderen vielleicht auch nicht unbedingt einfach, sich helfen zu lassen, was ich aus ihrer Äußerung entnahm, dass sie es nervend fände, wenn jeder, der sie besucht, fragen würde, ob sie denn schon etwas gegessen habe. Andererseits finde ich diese Frage in Anbetracht des Umstandes, dass meine Oma rein optisch nicht mehr viel von dem zeigt, was sie einmal war, legitim, weil wir, die Familie, sich natürlich um sie und ihre Gesundheit sorgt, wenn dieses eingefallene Häuflein Mensch vor einem sitzt.

Ich hoffe, sie verträgt die Dosis.

Vorgesehen ist, dass sie künftig einmal pro Woche eine Spritze erhält, was ambulant erfolgt.

Wie viel Wochen werden ihr und uns bleiben?

Ich kann nicht mehr klar denken. Meine Oma ist inzwischen aus dem Krankenhaus. Viel tun können sie vor Ort ja auch nicht mehr. Die Chemo, die lediglich noch zur Beschwerdelinderung eingesetzt wird, soll ambulant durchgeführt werden. Wann damit begonnen wird, wird sich zeigen. Seit Dienstag ist sie zu Hause. Sie schläft fast nur noch. Ist recht zugedröhnt von den Medikamenten. Ißt kaum mehr.

Der Vortrag „Selbstheilung aktivieren“ am Mittwoch hat mir die letzte Hoffnung geraubt. Obwohl viel mehr Menschen als erwartet – ich vermute gute 100 – kamen, ist es mir gelungen, mit dem Arzt, der selbst zum Patienten wurde, zu sprechen. Ich konnte ihm, der die gleiche Diagnose wie meine Oma gestellt bekam, sogar ihren Befund zeigen. Wir, die Familie, sollen ihr die verbleibende Zeit so schön wie möglich gestalten ... der Tumor sei sehr groß, meine Oma sehr alt, multiple Metastasen in der Leber, ... ihr Problem mit dem Herz ...

Vorhin dann das Telefonat mit meiner Oma, ... ich wusste, dass gerade beide Onkel (ihre Söhne) da sind, bin deshalb auch nicht hingefahren, ... wollte nicht zusätzlich belasten, ... sie war schwach, benommen, sprach zum Teil fragwürdig, ... obwohl sie zu Hause wesentlich besser schlafen könne, sei die Situation zu Hause sehr anstrengend, ... im Krankenhaus hatte sie mehr Ruhe, ...

Und meine Schwester? Sie schätzt meine Oma über alle Maßen, das im voraus. Sie, meine Schwester, hat über Jahre hinweg - mit allen medizinischen Mitteln - ein Kind zu bekommen versucht, erlitt dabei zwei Fehlgeburten, bis es dann schließlich doch gelang und Fabio, ihr Sohn und Heiligtum, vor 1,5 Jahren zur Welt kam. Meine Oma ist ganz entzückt von dem Kleinen, bedauerte es aber schon von jeher, dass meine Schwester mit Fabio viel zu selten käme (vor allen Dingen auch weil sie den direkten Vergleich zu meinem Bruder hat, der mit seiner Tochter meine Oma jeden Sonntag besucht). Für meine Schwester war der Besuch mit Fabio bei meiner Oma aber mit Stress verbunden, weil sie so „wild“ auf ihn sei. Vor ca. acht Wochen erkrankte Fabio auch noch sehr schwer an Lungenentzündung, was einen strapaziösen Krankenhausaufenthalt für die ganze junge Familie (sie, mein Schwager und auch Fabio) nach sich zog. Nach dem Krankenhausaufenthalt erlitt er zweimal einen Rückfall. Als dann meine Oma ins Krankenhaus kam, wollte meine Schwester auch nicht mit Fabio meine Oma besuchen, weil sie fürchtete, dass dort vielleicht noch Bakterien, Viren oder ähnliches umherschwirren könnte, was ihn vielleicht erneut erkranken ließ.

Dafür hatte ich ehrlich gesagt noch Verständnis, obwohl mir meine Oma leid tat, weil ich wusste, wie gerne sie ihn noch einmal gesehen hätte, wir zudem nicht wussten, ob sie noch einmal aus dem Krankenhaus kommt.

Nun, jetzt da sie zu Hause ist, spräche eigentlich nichts mehr dagegen, ihr noch einmal Fabio, der gerade zu sprechen beginnt, zu zeigen. Meine Schwester könnte einfach bei meiner Oma vorbeikommen, ... und doch, ... NICHT mit Fabio. Krankenschwestern haben ihr mitgeteilt, dass Krebs ansteckend sei, daran glaubt sie jetzt, ... ist das nicht alles absurd?

Meine Oma ist doch keine Aussätzige! Ich versuche ja auch in diesem Fall zu verstehen, dass meine Schwester ihr Kind schützen möchte, aber Krebs ist doch nicht ansteckend?! Bisher dachte ich das zumindest immer ... und dann fand ich folgende Zeilen im Netz

Krebs ist keine ansteckende Krankheit. Aber es wurden eine Reihe von Krankheitserregern - vor allem Viren - entdeckt, welche die Entstehung von bestimmten Krebserkrankungen begünstigen oder sie sogar verursachen. Die Wissenschaftler bezeichnen diese Viren als "onkogene" - also krebsauslösende Viren oder "Tumorviren". Diese Krankheitserreger können von einem Menschen auf den anderen übertragen werden. Viele Menschen aber kommen mit ihnen in Kontakt, ohne jemals an Krebs zu erkranken ... Der Zusammenhang zwischen einer Virusinfektion und einer Krebserkrankung ist schwierig zu beweisen. Denn: Viele Menschen stecken sich mit Viren an, aber nur wenige entwickeln einen Krebs. Außerdem liegen viele Jahre zwischen der Ansteckung mit einem Virus und der Entstehung eines Tumors. Nach Schätzungen von Experten könnte jede fünfte Krebserkrankung auf das Konto von ansteckenden Viren gehen. Als mögliche Auslöser von Krebserkrankungen gelten Hepatitis-, Papillom-, besondere Herpes- und Retroviren. Auch Bakterien wie das Magenbakterium Helicobacter pylori werden als Krebsauslöser verdächtigt.

Ist es das, wovor sie, meine Schwester, Angst hat? Weil der Kleine in sich schon so geschwächt ist.

Das Leben hat manchmal so grauenvoll auswegslose Facetten!

Habe eben mit meinem Onkel, der gestern mit der zuständigen Ärztin gesprochen hat, telefoniert. Zur Vorbeugung eines weiteren Schlaganfalls geben die Ärzte meiner Oma jetzt doch wieder Marcumar, das Blut verdünnende Mittel, welches sie kurz nach ihrer Einlieferung absetzen musste, um das Risiko des innerlichen Verblutens, sollte der Tumor zu bluten beginnen, zu minimieren.

Ich weiß auch nicht, wovor ich jetzt eigentlich mehr Angst haben soll?!

Einerseits könnte ich ja zufrieden sein, denn mit der Hilfe von Marcumar lebte meine Oma die letzten acht Jahre ohne Schlaganfall (davor hatte sie bereits einen, weshalb man ihr damals auch das Medikament verabreichte). Andererseits muss ich jetzt davor bangen, dass der Tumor zu bluten beginnt. Was dann? Der Arzt hat noch am Samstag zu meiner Mutter und mir gesagt, dass sie, die Ärzte, die Blutung des Tumors, wenn sie denn ausbrechen sollte, nicht stoppen könnten.

Inzwischen geht es meiner Oma im übrigen wieder ein wenig besser – natürlich den Umständen entsprechend. Sie kann, wenn auch noch sehr langsam und manchmal ein bisschen nach Worten suchend, sich wieder ganz gut artikulieren. Heute sei sie, erzählte mein Onkel, auch schon ganz alleine wieder mit meiner 6-jährigen Nichte durch den Flur des Krankenhauses gelaufen. Ich wünschte, es bliebe so. Doch der Tumor ist sehr groß. Das bestätigte mein Onkel heute erneut.

Habe in der gestrigen Lokalausgabe einen Artikel gefunden, der einen Vortrag nächste Woche ankündigt:

Selbstheilung aktivieren

Die Diagnose war ein Schock: "Bauchspeicheldrüsenkrebs". Das war Ende 1997. Damals wurde der Allgemeinarzt Dr. Eberhard (Ebo) Rau aus Amberg vom Arzt zum Patienten. Obwohl Arzt, musste Rau selbst im Laufe der Krankheit erst den Weg vom hilflosen zum aktiven Patienten finden. Seine Erfahrungen mit Angst-, Krankheits- und Konfliktbewältigung hat er in mehreren Büchern niedergelegt. Die Selbsthilfegruppe 3 der Bayerischen Krebsgesellschaft in Würzburg hat Dr. Ebo Rau für Mittwoch, den 1. Juni, um 19 Uhr zum Vortrag eingeladen. Das Thema: "Aktivierung der Selbstheilungskräfte nach einer Krebserkrankung". Rau schaffte dies durch natürliche, esoterische, meditative und geistige Therapiearten. Der Vortrag findet statt im Großen Saal des Matthias-Ehrenfried Hauses in der Bahnhofstraße 2-4, Würzburg.


Ist es nicht seltsam, dass ausgerechnet jetzt – quasi in akuter Lage - so ein Vortrag gehalten wird? Es bleibt natürlich jedem selbst überlassen, an esoterische, mediative und geistige Therapienarten zu glauben oder auch nicht. Eigentlich gehöre ich in dieser Hinsicht wohl auch eher zu den Zweiflern, aber was bleibt mir denn anderes übrig, als es mir anzuhören und der Möglichkeit eine Chance zu geben, schließlich stirbt die Hoffnung immer zuletzt.

Wenn jemand gesund wird, ist es doch egal, auf welche Weise das geschieht (natürlich nur unter der Prämisse, dass kein weiterer dadurch geschädigt wird).

Versuche noch an den Befund heranzukommen, dass ich, sollte ich mit dem Arzt am Mittwoch ins Gespräch kommen, etwas Handfestes vorzuweisen habe. Mal sehen, ob mir dieses Vorhaben gelingt?!

Was für ein Tag! Ich kann ihn selbst noch nicht fassen.

Der Pan und ich haben heute Nachmittag meine Oma besucht. Wir kamen um 14.30 Uhr im ca. 50 Kilometer entfernten Krankenhaus an. Mit uns trudelte auch mein anderer Onkel vom Bodensee, den ich schon einige Jahre nicht mehr gesehen hatte, in Begleitung meines Opas ein. Furchtbar, dass solch traurige Umstände Menschen zueinander führt.

Mein Onkel und mein Großvater verließen das Krankenhaus so gegen 17 Uhr. Sie waren bei meiner Schwägerin zum Essen eingeladen. Um 17.45 Uhr dachte ich, dass wir, der Pan und ich, uns so gegen 18 Uhr auch wieder auf den Nachhauseweg machen könnten. Bis dahin verlief – den Umständen entsprechend – alles fabelhaft. Meine Oma freute sich wie ein Schneekönig über unseren Besuch (in dieser Hinsicht ist sie wirklich bezaubernd).

Geistig ist sie mit ihren 83 Jahren auch noch topfit. Wir erzählten über London, sie plauderte aus der Vergangenheit, aber auch von dem Schock, als sie von ihrem „Geschwür“ - von mehr weiß sie nicht - erfuhr. Trotz Angst, dass es vielleicht Krebs sein könnte (den Befund der Gewebeentnahme erhält sie am Montag), war sie so voller Hoffnung, dass auch ich am liebsten daran geglaubt hätte, weil es sich so gut angehört hatte und diese Vermutung sich so viel leichter glauben und leben lässt.

Sie war mitten im Redefluss, als ich plötzlich spürte, wie schwierig ihr das Weitererzählen fiel. Ich Naivling dachte doch tatsächlich, dass sie mir etwas emotional Aufwühlendes mitteilen wollte, was ihr nur schwer über die Lippen ging, was eine reale, aber seltene Situation aus unserem Alltag hätte sein können. Ich hatte ihr um 17.30 Uhr noch eine Tablette gereicht. Sie stockte, gestikulierte (für mich nach Mut und Worten) ringend, aber nicht bedrohlich, haderte, drückte mich an sich, so dass ich ihr den Rücken streichelte. Ich sagte ihr noch, dass sie keine Furcht haben bräuchte, alles sagen könne. Zwischendurch entfleuchten ihr seltsame Laute, worauf ich dem Pan einen Hilfe suchenden Blick zuwandte, weil ich nicht wusste, was das bedeutete. Eine kurze Zeit lang hatte ich das Gefühl, als hätte sie einen epileptischen Anfall, obwohl ich das fachlich natürlich überhaupt nicht beurteilen kann, weil ich mich nicht damit auskenne, aber es war zumindest so, wie ich es mir in meiner Vorstellung ausgemalt hatte. Andererseits ist sie dafür aber auch nicht anfällig, dachte ich mich selbst beruhigend.

Dann kam meine Mutter zu Besuch, was für einen kurzen Augenblick der Ablenkung die Dringlichkeit des Empfindens nahm, schließlich dachte ich nach wie vor, dass meine Oma mir etwas sehr Vertrauliches mitteilen wollte. Die Zimmergesellin meiner Oma mutmaßte, dass der Besuch meiner Oma wohl zu viel gewesen sei. Meine Oma versuchte zu sprechen und bekam kein Wort heraus. Ansprechbar hingegen war sie, wenngleich auch sehr verzögert.
Meine Mutter äußerte sich dahingehend, dass das wohl ein Ergebnis der vielen Arznei sei, wahrscheinlich die Schlaftablette.

Ich entschied mich dann aber doch dafür, mal kurz zur Schwester zu gehen, um zu fragen, was für eine Tablette die zuletzt eingenommene sei, worauf ich mitgeteilt bekam, dass das für den Blutdruck sei. Darauf hin erläuterte ich dann den seltsamen Zustand meiner Oma. „Wir schauen nachher gleich mal“, bekam ich zur Antwort. O.k., aufdringlich sein wollte ich ja auch nicht. Ich ging wieder zurück. Als eine ganze Zeit lang nichts geschah, suchte ich erneut die Schwester auf, weil mir der „Nichtredenkönnen-“ und der ein wenig wie „Weggetreten-Zustand“ meiner Oma doch merkwürdig erschien. Als die Schwester dann kam, sah sie sich diesem Zustand auch recht hilflos gegenüber. „Ich rufe mal einen Arzt“, meinte sie. Kurze Zeit später kam sie zurück und meinte, dass Dr. Schwab gleich käme, jetzt hätte er aber noch unten zu tun. Es könne ein klein bisschen dauern. Wie lange wir wirklich gewartet haben, kann ich nicht sagen. 20 Minuten aber ganz gewiss, vielleicht auch 30. Als meine Oma dann aber noch mal nach dem Arzt fragte (das einer kommen würde, hatte sie mitbekommen, auch weil wir ihr es einige Male zur Beruhigung sagten, davon abgesehen spürte sie, dass etwas nicht mit ihr in Ordnung war), ging ich erneut nach draußen, worauf mich die vorbeilaufende Schwester fragte, ob denn der Arzt schon da gewesen sei, was ich verneinte. Nach ihrem zweiten Anruf kamen dann gleich zwei Ärzte. Wir mussten – meine Mutter blieb – aus dem Zimmer.

Ich mache es kurz. Meine Oma hat einen Schlaganfall (Blutgerinnsel im Hirn) erlitten – und das während unseres Beiseins! Unglaublich!

In der Regel reagieren Ärzte auf einen Schlaganfall damit, dass sie dem Patienten das Blut verdünnen, was bei meiner Oma aber nicht geht. Fatal! Sie hatte bis zu ihrem Krankenhausaufenthalt noch Marcumar - nach Auskünften des Krankenhausarztes DAS Medikament zur Hemmung der Blutgerinnung -, was sie aufgrund ihrer Herzrhythmusstörungen, die ein Blutgerinnsel im Herzen auslösen können, eingenommen. Gerinnungshemmer sind dazu da, um die Gerinnungsfähigkeit des Blutes zu vermindern und damit die Bildung von Blutgerinnseln zu verhindern. Soviel zur bisherigen Vorbeugungen vor einem Schlaganfall bei meiner Oma.. Nachdem man nun das Medikament abgesetzt hat, absetzen musste, passierte das, was man als Risiko aufgrund dieses Agierens tragen muss.

Um es mal mit meinen Worten zu sagen. Eigentlich benötigt meine Oma aufgrund ihrer Herzrhythmusstörungen dieses blutverdünnende Marcumar, damit sie Schlaganfällen vorbeugt.
Wenn aber ihr Tumor im Bauch einmal zu bluten beginnen sollte, würde sie, weil die Ärzte diese innerliche Blutung nicht stoppen können (das Blut ist ja so dünn), verbluten. Deshalb haben die Ärzte das Medikament abgesetzt.

Genau aus dem gleichen Grund konnten die Ärzte in dieser Hinsicht auch heute Abend nicht reagieren. „Normalerweise spülen wir die Patienten dann mit Blutverdünner aus“, meinte der Arzt, „aber das geht in diesem Fall leider nicht“. Die Blutverdünnung sei eine Gratwanderung: Sie muss stark genug sein, damit es zu keiner Gerinnselbildung kommt, jedoch nicht so stark, dass es zu Blutungen kommt. Wenn Blutgerinnsel an denjenigen Stellen liegen bleiben, an denen sie entstanden sind, sind sie in der Regel harmlos. Auch Gerinnsel innerhalb des Herzens verursachen in aller Regel keine Schäden. Wenn diese Gerinnsel aber durch das vorbei fließende Blut abgerissen werden, gelangen Sie in den Blutkreislauf. Sie schwimmen mit dem Blut weiter und gelangen auf diese Weise in alle möglichen Organe, wobei das „Zielorgan“ mehr oder weniger zufällig getroffen wird. Blutgerinnsel in den Beinvenen können dem Blutstrom folgend in die Lungen gelangen, Blutgerinnsel aus dem Herzen in jedes beliebige Organ oder Körperteil, Nieren, Arme oder Gehirn. Erst hier, im Zielorgan, verursachen sie den eigentlichen Schaden, indem sie die Blutgefässe des Organs verstopfen. Das hat zur Folge, dass das Organ oder ein Teil davon nicht mehr mit frischem Blut und Sauerstoff versorgt werden und dadurch absterben. Je nachdem, welches Organ betroffen ist, entstehen z.B. eine Lungenembolie (die tödlich sein kann) oder ein Schlaganfall.

Was will ich damit sagen? Meine Oma scheint nach dem Absetzen des Marcumars mit der Bildung von Blutgerinnsel zu reagieren. Insofern könnte der Schlaganfall erst der Anfang gewesen sein.

Und was sagte meine Mom? Es sei für meine Oma besser an einem Schlaganfall zu sterben als an Krebs, weil der in ihrem Fall auch so leidsam sei.

Der Arzt, wirklich ein sehr freundlicher Mensch, zufällig auch noch ein ehemaliger Schulkamerad meiner Schwester, erläuterte auch die Größe des Karzinoms (4 x 5 cm), wobei ich nicht genau zu deuten weiß, was das heißt, obgleich ich im Vorfeld ein Telefonat mitbekam, in dem es über meine Oma ging und er von einem „riesigen Karzinom“ sprach. Sein Kollege erläuterte dann auch noch etliches andere mehr, auch das Thema Chemo, die meiner Oma das verbleibende Leben noch erträglicher machen würde. Er sprach auch von seinem ethischen Gewissen und was er verantworten könne, wenn es zu Komplikationen (hier sprach er dann zum Beispiel von einer Lungenembolie, s.o.) käme.

Aufgrund der Schwere der Ereignisse rief ich meinen Bruder an, wo mein Opa samt Onkel verweilte. Die beiden (Bruder und Onkel) kamen unmittelbar nach dem Telefonat ins Krankenhaus. Mein Opa, der das Ganze bisher noch nicht realisiert hat und nach Angaben meines Onkels, sprich seines Sohnes, auch nie realisieren wird, ließen wir außen vor. Soweit ich das mitbekommen habe, weiß mein Opa bisher nur, dass meine Oma aufgrund ihrer „Bauchschmerzen“ im Krankenhaus ist. Ihn wird ihr Tod brutalst treffen, auch wenn er völlig unfähig ist, Gefühle zu zeigen.

Jetzt bin ich einfach nur ausgelaugt und platt. Es war so Kräfte zehrend, stark zu sein und Ruhe zu bewahren, aber ich bin so froh, dass wir heute meine Oma besucht haben und ich ihr Nähe genießen durfte.

Wenn wir Glück haben, könnten sich die Auswirkungen des Schlaganfalls auch wieder sehr rasch zurückbilden, meinten die Ärzte, aber das gilt es, wie so vieles Anderes, abzuwarten.

 

twoday.net AGB

xml version of this page

xml version of this topic

powered by Antville powered by Helma