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Kaum zu glauben

Was für ein Tag! Selten soviel überraschende Höhen und Tiefen in solch einer kurzen Zeitspanne durchlebt.

Mit eines der wichtigsten Ereignisse dieses Tages war für mich die Tatsache, dass nach dem heutigen Tag Hiobsbotschaft Nummer 1 nach einer strapaziösen Woche - weil erledigt - ad acta gelegt wird. Für einen Moment hat sie es heute aber doch noch einmal vermocht, sicherlich mit bedingt durch meine derzeitig mimosenhafte Sensibilität, mich Tränen vergießen zu lassen. Ein salziges Rinnsaal, das mich heute immer wieder einmal durch den Tag geleitete, obwohl er sich später als durchaus erfreulich erwies.

Doch zurück zu den Anfängen …

Episode 1: Mangelnde Aufmerksamkeit

Der erste Tränenschub floss gleich schon am Morgen, resultierte aus einem Gespräch mit einem Freund, mit dem ich üblicherweise Freud und Leid teile, dem ich etwas Wichtiges mitteilen wollte, bei diesem Telefonat aber das Gefühl hatte, dass er mir nicht die Aufmerksamkeit schenkt, die ich zu diesem Thema gerne gehabt hätte. Mich schockte die Tatsache, ihn nebenbei ein Anschreiben formulieren zu hören, was mich verstummen und auflegen – eine nicht gerade sehr löbliche Eigenart von mir – ließ. Nein, er ist deswegen nicht der Buhmann und Ja, wir haben mittlerweile darüber geredet, wenngleich erst Stunden später.


Episode 2: Knüppelharte Wahrheit

Als ich am späten Vormittag vom Joggen zurückkam, begegnete mir vor der Haustüre eine ältere Nachbarin, die ich auf ca. 72 Jahre schätze. Seltsamerweise schien sie mich, die ich ihr schon einige wenige Male die Einkaufstüten nach oben getragen hatte, damals allerdings noch mit meiner alten Frisur, die ich seit dem 18. September nicht mehr trage, nicht zu erkennen oder zumindest nicht eindeutig, denn sonst hätte sich folgender Dialog nicht ergeben:

Sie: „Sie gehören hier nicht ins Haus, oder?“

Ich: „Doch“

Sie: „Sie sind aber nicht die Frau, die ganz oben wohnt, die mit den Kringeln (??!!), die mit dem Freund, die, deren Auto (zeigte auf das Auto) ganz außen steht?“

Ich: „Doch, die bin ich“

Sie: „Aber Sie sehen so anders aus“

Ich: „Ja, ich habe eine neue Frisur“

Sie: „Ja, aber Sie sehen so alt aus“

Ich: „ …“ [ohne Worte]

Das war dann Schock Nummer 2 des Tages.


Episode 3: Überraschendes Nachspiel

Wesentlich fröhlicher ging es dann im Verlag zu. Dort fand ich ein an mich adressiertes Päckchen auf dem Schreibtisch liegen. In selbigem befand sich ein Buch und eine Karte, das mir der 81-jährige Pfarrer, mit dem ich vor gut zwei Wochen ein Gespräch führte, geschenkt hatte. Ich war dermaßen gerührt, dass ich ein weiteres Mal, schon das dritte Mal an diesem Tag, sprachlos war, bevor ich dann aber doch in Begeisterungsreden ausbrach. Ich weiß nicht warum, aber scheinbar habe ich bei diesem beherzten Menschen, mit dem ich mich über Leben und Tod unterhielt, Eindruck hinterlassen.

Und was stand auf der handgeschriebenen Karte?

Auf der linken Seite: „Durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes wird uns besuchen das aufgehende Licht aus der Höhe, damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens“ [Lukas 1, 78-79]

Auf der rechten Seite: Werte Frau (mein Name), über unser Gespräch am 27.11. habe ich mich sehr gefreut. Sie haben ganz offen und frei wesentliche Fragen gestellt. Um Ihnen da ein wenig weiterzuhelfen, schenke ich Ihnen das beigefügte Buch von Professor Dr. Werner Gitt „Fragen“. Ich nehme es selbst immer wieder einmal in die Hand. Und es hat mir geholfen. Möge es auch Ihnen die eine oder andere Frage beantworten.

Mit freundlichen Gruß und Segenswünschen

(sein Name)


Manchmal zweifle ich daran, dass mich Menschen gerne mögen können. Als ich aber die Karte las, hat mir das diesbezüglich sehr viel Mut und Kraft gespendet, vornehmlich wohl auch deshalb, weil dieser Pfarrer das aus freien Stücken getan hat, er sich durch diese Geste auch keinerlei Vorteil erhoffen könnte, es also aus rein menschlichen Beweggründen resultierte, was mich glücklich gemacht hat.


Episode 4: Überraschendes Lob

Ich weiß auch hier nicht warum, vielleicht hatte eine „höhere Macht“ aufgrund der anstrengenden zurückliegenden sieben Tage oder vielleicht auch den ersten beiden erwähnten Episoden ein tröstendes Einsehen mit mir, aber ich erhielt heute von höchster Stelle Lob aufgrund meines Seins.

Ich zitiere und versuche dabei, nicht rot zu werden: „Ich habe selten jemanden erlebt, der es so vermag, Menschen einzunehmen und mitzureißen wie Sie. Sie verbreiten eine ansteckende Fröhlichkeit. Wenn hier Missmut herrscht und Sie hereinkommen, begeistern Sie die Anderen“.

Da ist mir dann vor Scham wirklich heiß geworden, aber ich habe mich UNGLAUBLICH gefreut.

Heute habe ich sie überschritten, die magische 1-Stunden-Grenze beim Joggen. Vor sechs Wochen habe mit dem Training begonnen und jetzt endlich das selbst gesteckte Ziel der Zeit erreicht. Jetzt muss möchte ich nur noch mein Tempo beschleunigen, da mich wahrscheinlich selbst die Schnecken in den Weinbergen wegen meiner Gemächlichkeit belächeln, aber in der Hinsicht bin ich geduldiger mit mir.

Des Wahnsinns nicht genug, nein, mein Onkel wütet weiter. Diesmal hat er meinen Bruder bei meinem Opa schlecht gemacht. Zur Hintergrundinfo sei gesagt, dass mein Bruder mit seiner 8-jährigen Tochter Alina meinen Opa sonntäglich besucht, der dieser jedes Mal ein bisschen Bargeld mitgibt (wie viel weiß ich nicht, auf jeden Fall sind keine Scheine dabei). Klar, dass Alina dieses Münzen ihrem Papa gibt, der selbige für sie spart.

Einfallsreicherweise hat mein Onkel meinem Opa den Floh ins Ohr gesetzt, dass mein Bruder dieses Geld veruntreue und für Drogen ausgebe. Dass mein Bruder auf die gezielte Nachfrage von meinem Opa hin fast aus allen Wolken fiel, ist sicherlich verständlich. Meiner Schwester dichtete er zudem die Zugehörigkeit zu einer Sekte an.

Mit welcher Überraschung er mich bei meinem Opa auszugrenzen versucht, blieb mir bis jetzt verborgen, aber ich bin mir sicher, dass er auch hier nicht träge war.

Im Bewusstsein, heute niemandem außer mir selbst genügen zu müssen, fing der Tag so richtig schön an. Hätte ich geahnt, wie er endet, wäre wohl im Vorfeld schon jegliches Wohlgefühl im Keim erstickt gewesen.

„Heute machst Du nur das, worauf DU Lust hast“ war das mich geleitende Motto, das mich schon morgens mit einer beständigen Gemächlichkeit im Bett hat liegen lassen, obwohl ich meinen Reichtum an Zeit bereits am Vorabend mit luxuriösen Möglichkeiten wie Faulenzen, ein Buch lesen, ins Kino gehen, im Bett liegen bleiben, ein langes, ausgiebiges Bad nehmen oder auch einem Hörspiel verplante. Die Welt war mein und das erfüllte mich mit durchdringender Freude, bis ich schließlich am Abend meine weinende Mutter am Telefon hatte.

Zuerst dachte ich, dass mein Opa gestorben sei, aber dieser erfreute sich glücklicherweise bester Gesundheit, obwohl er ungewollt zum Zuschauer einer brutalen Szene wurde.

Meine Mutter weinte so bitterlich und niedergeschmettert, dass es mir wehtat, sie so zu hören. Ich war verzweifelt, weil ich nicht wusste, was ich zum Trost hätte sagen sollen.

Wie soll ich sie auch trösten, wenn der eigene Bruder tätlich gegen sie vorgeht, und so sehr auf sie einprügelt, dass sie dieser Attacke, bei der sie nach eigenen Auskünften Todesangst hatte, nur noch mit blauen und grünen Flecken entkommt?

Und warum verlor er seinen Verstand reagierte er, ihr Bruder, so grausam entmenscht? Weil sie, meine Mutter, ihm - im Guten Glauben - zwei Bücher über das Leben nach dem Tod geschenkt hat.

Er wertete das als Affront gegen meine vor 1,5 Jahren verstorbene Oma, seiner Mutter, mit der er über diese zwei Bücher schon gesprochen haben will.

Dass er meiner Mutter diese Bücher vor die Füße schmeißt, ist das eine, dafür hätte ich im weitesten Sinn ja sogar noch Verständnis, obwohl ich das auch nicht anständig gefunden hätte. Dass er sie aber zudem auch noch schlägt und in der Wohnung gegen ihren Willen festhält und das vor den Augen meines Opas, der zwar geistig topfit, dafür aber körperlich nicht mehr wirklich standfest auf den Beinen ist, schlägt dem Fass den Boden aus. Mein Opa beschrieh meinen Onkel, doch dieser war wie in Trance und ließ meine Mutter nicht los.

"Dass ich das mit meinen 62 Jahren noch erleben muss?", schluchzte sie.

Was ist das für eine Welt?

2003 hatte meine Mutter Krebs, musste sich einer Totaloperation unterziehen, die ihr noch heute Beschwerden verursacht. Seitdem befürchte ich, dass er wieder ausbrechen könnte, wie bei so vielen Menschen, die ich kannte, die in der Vergangenheit als (vorübergehend) "geheilt" galten und dann nach einem Rezidiv doch starben. Vielleicht mag es belächenswert klingen, aber ich bin der Ansicht, dass verletzende Erlebnisse oder solche, die sie sehr aufwühlen, die Rückkehr des Krebses bei meiner Mutter fördern.

Und mit dieser Angst lebe ich seit 2003 und versuche – soweit ich es vermag – meine Mutter vor genau solchen Erfahrungen zu schützen oder sie mit positiven Erlebnissen aufzuwiegen. Dass mein Onkel, ihr Bruder, ihr das bewusst zufügt, also meinem Verständnis gemäß sie diesem Risiko aussetzt oder selbst dazu beiträgt, macht mich sprachlos, einfach nur absolut sprachlos und wütend.

Es ist zum Erschaudern, insofern dann ja doch schon wieder fast richtig, zumindest temperaturgemäß. Mitten im Sommer, unser Freibadschwimmbad hat sogar noch geöffnet, liegen in den Geschäften bereits die ersten Weihnachtsknabbereien aus. Nicht dass diese Tatsache neu an sich ist, aber doch immer wieder aufs Neue erstaunlich, aber so haben wir in unserer schnelllebigen Gesellschaft zumindest Zeit uns daran zu gewöhnen, dass Heilig Abend bald vor der Türe steht, insofern – dem Kalkül wirtschaftlicher Strategen sei Dank - Zeit zur Besinnung, bevor der Geschenkestress, die Adventshektik und der Nikolaustrubel gute Laune tilgend um sich greifen. Zeit, um an einem lauen Spätsommerabend – bei Lebkuchen und Glühwein – resümierend darüber zu sinnieren, was dieses Jahr an Ereignissen, Erfahrungen, Schicksalsschlägen, Glücksmomenten und Erlebnissen gebracht hat.

Ich telefoniere zu laut! Bis gestern wusste ich nicht, dass ich ins Telefon brülle. Seltsam, dass mir das meine bisherigen Kollegen die vergangenen zwei Jahre nicht mitgeteilt haben, sicherlich aus höflicher Rücksichtnahme. Ich solle jedenfalls in Zukunft darauf achten, nicht mehr so laut zu sprechen. Ich wusste auch nicht, dass es ein Verbrechen ist, sich eine kleine Telefonliste mit den Kurzwahlnummer der anderen Kollegen an den Bildschirm zu haften – und das in der „augenkrebserregenden Schrift“ Times New Roman. Diesen Zettel habe ich nun in Arial dorthin zu hängen. Ist das noch zu fassen? Meinen Kalender durfte ich übrigens nur mit Genehmigung aufhängen. Ich könnte viele solcher Beispiele anführen, doch wem würde es nutzen? Die Welt in der ich lebe, ist eine befremdliche. Das war so und das wird wohl auch immer so bleiben.

Mag sein, dass ich verwöhnt bin, aber was mein morgendliches Kaffee-Getränk betrifft, trinke ich immer das gleiche: einen Vanille-Cappuccino von einer speziellen Firma, aber eben nur jenen, von dieser einen Firma. Ich habe schon einige andere Vanille-Cappus probiert, aber keiner schaffte es bisher, ihn geschmacklich auch nur annährend gleichzukommen, weshalb ich schließlich diesem einen mein Vertrauen schenkte und mich geschmacklich nur auf ihn besann.

Da ich grundsätzlich meist alles auf Vorrat kaufe und Nachschub schon dann besorge, wenn noch gar kein Anlass dazu besteht, habe ich mir zunächst auch nichts dabei gedacht, als mich das Fach, in dem sonst dieser köstliche Cappu weilt, mit gähnender Leere empfing. „Scheinbar gibt es in Würzburg noch ein paar andere Genießer“, dachte ich beim ersten Mal. Beim darauf folgenden Mal vermutete ich Lieferengpässe, bis ich mich vergangene Woche schließlich wieder in der Esswarenabteilung vom Kaufhof einfand, um diesmal aufgrund der Tatsache, dass sich mein Vorrat inzwischen schon fast in Gänze aufgebraucht hatte, etwas angespannt den bekannten und für mich einzigen Weg in dieser Etage zu gehen. Da besagte Lücke noch immer keinen Kumpanen zum Unterschlupf gefunden hatte, fragte ich kurzerhand einen Verkäufer, um letztendlich traurige Gewissheit darüber zu bekommen, dass eben dieser eine Cappu aus dem Sortiment genommen sei – mangels Nachfrage.

Ich würde es an dieser Stelle eigentlich nicht erwähnen, wenn, ja wenn nicht etwas Gravierendes hinzukäme: der Kaufhof war das letzte Geschäft in Würzburg, das diesen Cappu noch veräußerte, nachdem ihn einige andere Läden schon einige Jahre zuvor aus deren Sortiment genommen haben. Was tun?

Aus der Not heraus versuchte ich – mal wieder – zwei andere Cappus. Vergebens! Ralf meinte, dass ich Jacobs - und damit ist das Geheimnis der Firma gelüftet - doch mal persönlich anschreiben soll, um zu erfahren, ob dieses Manko nur geographisch bedingt sei oder möglicherweise ein (für mich) bundesweites Fiasko.

Gesagt, getan, die Mail jedoch um die Frage bereichert, ob ich, sollte sich die zuletzt genannte Vermutung traurigerweise bewahrheiten, Restbestände aufkaufen könne.

Ich mach es kurz, weniger schmerzvoll ist es deshalb aber nicht: "Zu Ihrer Anfrage nach unserem Produkt Jacobs Cappuccino Vanilla müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir dieses aufgrund mangelnder Verbraucherakzeptanz aus dem Sortiment genommen haben. Eine Neuauflage ist zurzeit nicht vorgesehen.", kam bereits ein Tag später zurück.

Ein rascher Blick zu ebay brachte leider auch nicht den gewünschten Erfolg, weshalb ich mir versprach, die letzten zehn Einzelbeutel, die mir noch verblieben sind, als Kostbarkeiten zu erachten, deren Exklusivität so rar ist, dass ich mir einen kommenden Cappu dieser Sorte erst verdienen muss oder es eines besonderen Anlasses für dieses edle Getränk bedarf.

Soviel zur Vorgeschichte.

Seitdem trinke ich morgens nur noch halbherzig ein Kaffee-Getränk. Eines, das so gar nichts mit dem meinigen zu tun hat, außer dass es sich um ein heißes Getränk handelt und mich allein diese Wahrnehmung an den schmackhaften "mich-in-den-Tag-Puscher" von einst erinnert.

Hinter den Kulissen, aber das entzog sich bis heute meiner Kenntnis, versuchte Ralf, doch noch irgendwie an diesen Cappu zu kommen. Nicht nur in den hiesigen Geschäften auch in den Weiten des Webs und, um es weiter zu verkürzen, er wurde möglicherweise fündig (Artnr. 3024), wobei ich auch das mal wieder nicht zu glauben gewillt bin, da Jacobs das Produkt doch aus dem Sortiment genommen hat. „Möglicherweise“ erwähne ich insofern, als dass Ralf eine sichere Gewissheit über eventuelle Vorräte via telefonischem Rückruf morgen oder spätestens am Montag erhält.

Ich weiß zwar nicht, warum Ralf dieses intensive Bemühen für mich und mein Frühstückslieblingsgetränk an den Tag legte, aber es rührt mich, weil ich es als ein Zeichen dafür werte, dass er mir a) zugehört hatte, als ich es ihm erzählt habe, und er b) die Bedeutsamkeit dieses besonderen Cappus für mich einzuschätzen weiß. Eigentlich wollte ich nur Danke sagen, weil jemand für meine Belange Einsatz zeigt und sich müht, ohne dass er darum gebeten worden ist. Ja, manchmal ist es ganz einfach, jemanden eine Freude zu bereiten.

Alles schon mal da gewesen, im Soge einer großen Verliebtheit, deren Fundament auf Treibsand erbaut war. Damals im Jahr 2000, als mein Verstand sich verabschiedet hatte und das Gefühl meiner unerfüllten Liebe mich in die tiefsten Täler meiner bisherigen Erfahrungen schickte, ich spürte, dass ich mich mit meinem Verhalten lächerlich machte, aber nicht die Kraft besaß, mit der Vernunft dagegen zu walten.

Damals, als ich sehend blind war, hörend taub, als ich wütend liebte und meiner Hoffnung einen eigenen Kosmos schuf, weil ich wollte, was ich nicht bekommen konnte.

Ihn – W.

Jetzt, nach langer Zeit, ein unverhofftes Wiedersehen, was eine SMS-Konversation folgen ließ. Und auf einmal waren sie wieder da, diese Gefühle. Gleich und doch anders. Die Verliebtheit ist einer Sympathie gewichen, doch die Wut, die mich damals aufgrund des jähen Kontaktabbruchs (nachdem er mir sagte, dass er mich liebe) fast in den Wahnsinn trieb, ist nicht gewichen, wenngleich ich sie heute sehr gut zu zähmen weiß. Was habe ich damals um ein Gespräch der Klärung gebeten, nein, gebettelt, ich kam mir schon wie ein Tier vor, das Kunststücke aufführt, nur damit es mit einer Erklärung belohnt wird, mit der ich sein Verhalten verstehe wollte, damit ich anfangen konnte zu verarbeiten, und um vielleicht auch aus eigenen Fehlern zu lernen. Nichts von alledem erfolgte. Erst jetzt – nach sechs Jahren - habe ich die Erklärung erhalten.

Nein, meine Beziehung ist deswegen nicht in Gefahr, doch er schreibt, dass er seine Liebe zu mir ganz leise in sich tragen würde, was mich einerseits rührt, ich aber andererseits nicht glauben kann.

Ich fühle mich krank, ausgelaugt, innerlich so leer, geradezu verbraucht.

Gestern Abend habe ich erfahren, dass ein 15-Jährige Bekannte in der Nacht zuvor nach einem Unfall im Krankenhaus verstarb. Was war geschehen? Sie fuhr mit ihrem Fahrrad die Straße entlang, die Tasche, die sich auf dem Gepäckträger befand, verhedderte sich in den Speichen, sie stürzte und ein Auto überrollte sie.

Ich weiß auch nicht, warum mich dieses tragische Unglück jetzt so zu Boden reißt, zumal sie „nur“ eine weitläufige Bekannte war.

Während meines Studiums - und auch danach - habe ich über zehn Jahre lang auf einem Schiff im Service gearbeitet. Klar, dass es dann nicht ausblieb, dass man die Menschen, die einen festen Job inne hatten (die Servicekräfte fluktuierten zum größten Teil saisonal), zunehmend näher kennenlernt. Sei es der Kapitän, die Matrosen oder auch der Boardchef. Sandra war die Tochter des Boardchefs, die ich über Jahre habe aufwachsen sehen. Er selbst war geschieden, doch Sandra kam jede Sommerferien für sechs Wochen auf das Schiff, um ihren Vater zu besuchen - insofern blieb auch hier ein vertrauteres Kennenlernen nicht aus. Gleichwohl wir 250 Kilometer auseinanderwohnen, brach der Kontakt auch nach meinem Weggang nie ab. Wir hielten relativ lose Verbindung via SMS. Vergangenes Jahr besuchte mich Sandra mit Ina, ihrer 16-Jährigen Cousine, die ihre sechs Wochen Sommerferien meistens ebenfalls auf dem Schiff verbrachte. Soviel mal als Hintergrundinfo ...

Gestern Abend erreichte mich dann eine SMS von einem Matrosen, zu dem ich den Kontakt bis heute pflege: „Hast Du das von Sandra schon gehört?“

Als ich die Zeilen las, überkam mich die Angst. Es wird doch nichts Schlimmes passiert sein, dachte ich mir, was ich sinngemäß auch in die antwortende Kurzmitteilung schrieb. Vielleicht ist sie ja schwanger? Was soll einer 15-Jährigen auch schon passieren, versuchte ich mich selbst mental zu beruhigen. Dann klingelte mein Telefon, im Display erkannte ich den Namen des Matrosen. Ich fürchtete mich, ... er sagte das, was ich nicht hören wollte, ... es sei eben doch etwas Schlimmes passiert. Ich getraute mich aber nicht auszusprechen, was ich nach dieser Aussage von ihm dachte. Seine Stimme war leise, er sprach langsam und bedächtig, erzählte selbst ziemlich mitgenommen von dem Unfall, von dem ihm Ina berichtet hatte.

Ich fragte nach ihrem Vater, dem Boardchef, der nach einem Suizidversuch Ende letzten Jahres gerade erst aus der Psychiatrie entlassen wurde. Und das mit der Auflage, näher zu seiner Familie (Tochter) zu ziehen, was er kürzlich umgesetzt hatte. Und jetzt das! Wie soll er diesen Schlag verkraften? Heute hätte er eigentlich operiert werden sollen – man wollte ihm an seinem gebeuteltem Herzen einen Bypass legen.

Kein Wort dieser Welt kann ihn trösten, keine Umarmung den Schmerz lindern. Er ist herausgerissen aus der Bahn, die sich Leben nennt. Ich fühle mich so ohnmächtig. Was kann ich nur tun? Ich möchte ihm einen Brief schreiben, den er dann lesen kann, wenn er meint, dass er die Kraft dazu hat. Aber was sollte ich schreiben? Wie sehr es mir leid tut? Von meiner Betroffenheit? Wäre nicht alles im Vergleich zu seinem Empfinden schändlich?

Der Gedanke an Sandras Tod hat mich in den unruhigen Schlaf der Nacht begleitet und war der erste, den ich heute Morgen hegte. Das Entsetzen ob dieser Tragödie benebelt meine Sinne.


Übrigens: Der Termin von vergangenem Donnerstag wurde auf heute 12 Uhr verschoben, wobei ich vermute, dass er diesmal wirklich stattfinden wird, gerade auch deshalb, weil ich mich so unvorbereitet und „daneben“ fühle

Lese gerade online unsere Tageszeitung von morgen, in der ich folgenden Artikel fand:

München - Wegen Mordes an seinem elf Wochen alten Sohn ist ein 36-jähriger Vater am Montag vom Schwurgericht München II zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Seine mitangeklagte 24 Jahre alte Frau muss wegen Mordes durch Unterlassen für zwölf Jahre hinter Gitter. Sie war gegen die wochenlangen Misshandlungen nicht eingeschritten. Der Vorsitzende Richter sprach von "unsäglicher Grausamkeit". Das Gericht sah bei dem Mann eine besondere Schwere der Schuld. Damit kann er bei guter Führung nicht nach 15 Jahren vorzeitig entlassen werden.

Laut Urteil hat der Vater über viele Wochen das schreiende Kind durch Schläge und Tritte, heftiges Schütteln und Hochreißen an den Ärmchen gequält. Er schlug auch den Kopf des Babys gegen das Gitterbett und ließ es vom Wickeltisch fallen. Der Gerichtsmediziner zählte bei der Obduktion 38 Brüche an dem kleinen Körper, darunter Frakturen an Schädelbasis und Schädeldach. Er sagte, so etwas habe er noch nie gesehen. Die Eltern sind nach den Worten des Richters nicht zum Arzt gegangen, "um die Misshandlungen zu vertuschen und das Bild einer heilen Welt aufrecht zu erhalten, dafür wurde das Kind geopfert".


Ist das nicht unglaublich? Wie kann es nur solche grausamen Menschen geben, die einem unschuldigen und wehrlosem Wesen etwas derart Abscheuliches antun, was nicht heißen soll, dass ich dieses verachtenswerte Rohheit unter anderen Umständen als tragbar erachte?

Hätten sie das Kind nicht zumindest in ein Heim geben können? Mag sein, dass das heranwachsende Geschöpf auch dort mit mangelndem Urvertrauen aufgewachsen wäre, aber es hätte zumindest die Chance auf Leben gehabt.

 

twoday.net AGB

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